Frühmorgens, wenn die Hähne kräh’n, na ja in der Stadt Palma de Mallorca krähen sie zwar nicht, aber ich will in aller Hergott’s früh mit dem Fahrrad hinauf in’s Tramontana, wo in den Gebirgsdörfern auch heute noch die Herren Hähne ihre Dominanz über die Hennen mit lautem Kikeriki verkünden.
Inhaltsverzeichnis
Viele Fahrradwege auf Mallorca
Obwohl es noch sehr zeitig ist, die Sonne hängt noch hinter dem Küstengebirge und obwohl die Spanier in der Regel später aufstehen, weil sie sich auch später schlafen legen als wir emsigen Deutschen, sind doch schon viele Autos unterwegs. Mich stört das weniger, denn in den letzten Jahren wurden auf der Ferieninsel auch viele Fahrradwege gebaut. Also strample ich vom Autoverkehr unbehelligt Richtung Norden.
Auf einer Brücke überquere ich die „via cintura“, die Autobahnringstraße, die die Kernstadt Palma wie ein Mantel umschließt. Hinter mir liegt jetzt die Altstadt mit ihren letzten Ausläufern, die mächtige Friedhofsanlage mit ihrem hochstrebenden Grabsteinen und Mausoleen. Auf der anderen Seite der „autovia“ prunkt das moderne Palma mit gläsernen Versicherungspalästen, großzügigen Geschäftsanlagen, weitläufigen Sportanlagen unter anderem dem Stolz aller Mallorquiner, dem Stadion des SC Real Mallorca. Zur rechten Hand sehe ich ein hübsches neu erbautes Gebäude, das einzige Hotel Palmas, in dem das Übernachten kostenlos ist. Etwas störend ist allerdings der riesige Stacheldrahtzaun, den das Gebäude umgibt und der den Ausgang seiner Insassen blockiert.
Beeindruckende Bergwelt
Bei der Weiterfahrt werden die Ansiedlungen weniger und die Natur mit vereinzelten Palmen und Gärten voller Mandelbäumen bricht sich ihre Bahn, bis dann auf der linken Seite mit dem riesigen Komplex des neu errichteten Krankenhaus Son Espasses und dem Gebäude der Universität die moderne Architektur zu Worte kommt. Weiter geht’s durch die Ebene während sich vor uns die mächtige Bergkulisse der Tramontana mit ihrem grauweißen Felsenmassiv aufbaut. Wenn ich nicht wüsste, dass die Straße weiterführt, wäre zu fürchten, dass die Felsen, die links und rechts drohend auftauchen, die Weiterfahrt versperrten.
Auf den Spuren von George Sand und Frédéric Chopin
Die bequeme, geteerte Straße, die heute das Bergdorf hinaufführt, war früher ein holpriger, steiniger Eselspfad, der sich bei Regenfällen in einen Bach verwandelte und der teilweise im und neben dem Torrente bergauf ging. Hier hatte sich die Schriftstellerin George Sand mit dem tuberkulosekranken Komponistenfreund Frédéric Chopin und ihren zwei Kindern, nebst spärlichem Hausrat auf einem Eselskarren am 15. Dezember 1838 die Eingeweide durchschütteln lassen. Optimistisch war ihr lungenkranker Freund Chopin, der sich hier in Valldemossa die Heilung seiner Krankheit erhoffte und in einem Brief an einen Freund in Paris schrieb
„Ich bin auf dem Weg zu einer wunderbaren Kartause in der schönsten Landschaft der Welt, wo ich leben, träumen und komponieren kann“.
Die Ursache, warum George Sand, sie war übrigens immer noch mit einem französischen Baron verheiratet, mit ihrem Geliebten Chopin, Sohn Maurice und Tochter Solange in das Bergdorf Valldemossa flüchtete, wo sich bis dorthin kaum je ein Fremder hatte blicken lassen, hatte folgenden Grund:
Nachdem sich die französischen Touristen am 7. November 1838 in Barcelona auf dem Raddampfer „El Mallorquin“ einschiffen ließen und nach 18 Stunden Palma erreichten, verbreitete sich in Windeseile die Nachricht, dass der „Señor“ an Schwindsucht leide. Da die Einheimischen die Ansteckung der Tuberkulose wie die Pest fürchteten, wollte ihnen niemand mehr Unterkunft gewähren. Durch die Vermittlung des französischen Konsuls erfuhren sie, dass sie im Kartäuserkloster in Valldemossa unterkommen könnten.
Die Geschichte des Kartäuserklosters von Valldemossa
Der Ursprung der Kartause des Jesus von Nazaret geht auf die Zeit der Übereignung des alten mallorquinischen Palastes von König Sandro I., zurück, der Anfang des 14. Jahrhunderts als Jagdpalast errichtet wurde. Später, als das Königreich Mallorca an die Krone von Aragon fiel, beschließt 1399 König Martin, der Humane, seinen Palast, namens Pujol an den Orden der Kartäusermönche abzutreten. Um 1526 war der Hauptteil des Klosters fertig gestellt und Ende des 17. Jahrhunderts nahm die Apotheke den Betrieb auf. Die Einflüsse der französischen Revolution verfehlten auch ihre Auswirkungen in Mallorca nicht. 1835 erließ die spanische Regierung ein Säkularisierungs-Dekret, dass alle Klöster mit einer Ordensgemeinde von weniger als 12 Mönchen aufgelöst werden. Das Kloster und seine Besitzungen wurden enteignet, der Staat als neuer Besitzer bietet die Klosterzellen zur Vermietung an.
Chopin komponierte auf Mallorca
Der Aufenthalt war für die Franzosen, wie Sand in ihrem Buch „Ein Winter auf Mallorca“ schreibt, Segen und Fluch zugleich. Chopin widmete sich ganz seiner Arbeit, er spielte auf seinem Klavier und ein Handwerker, der den Künstler spielen hörte geriet, wie Sand schreibt „in eine Art von Verzückung, er ließ seine Arbeit liegen und postierte sich hinter dem Stuhl des Pianisten mit halboffenen Mund und hervortretenden Augen“. Hier in der Klosterzelle komponierte und vollendete er zahlreiche seiner bedeutendsten Werke. Aber je weiter der kalte und regnerische Winter voranschritt, umso mehr verschlimmerte sich seine Krankheit. In der modrigen Klosterzelle, wo der Wind durch alle Ritzen pfiff, fühlte er sich fern vom Pariser Salonleben einsam und verlassen, zudem das heiße Sexleben zwischen ihm und George krankheitshalber in ein keusches Mutter-Kind-Verhältnis übergegangen war. Seine Partnerin, die Zigaretten rauchend in Männerhosen durch das Dorf wandelte, wurde von den Einheimischen als „gottlose Hexe“, die nie in die Kirche ging und in ständiger Todsünde lebte, geschmäht. Dies hinderte die Dörfler aber nicht, sie beim Kauf von Lebensmitteln ständig übers Ohr zu hauen. Die Mühseligkeiten des Alltags entschädigten die herrlichen Ausblicke und die Spaziergänge in der paradiesischen Landschaft.
Mallorcas Nordwesten beeindruckt die Pariserin
Noch habe ich den Satz der Schriftstellerin Sand im Hinterkopf beim Anblick des idyllischen Valldemossa und seiner Umgebung.
„Es war der gewaltigste Eindruck, den mir die Natur jemals vermittelt hat und ich bin höchstens drei- oder viermal in meinem Leben ähnlich ergriffen gewesen“.
Ich trete mühsam meinen Drahtesel, denn die Straße steigt jetzt steiler bergan, da habe ich auch schon die Engstelle, wo nur die Straße und der Torrente eine Kluft zwischen den Felswänden lässt, passiert. Vor mir öffnet sich ein gigantisches Panorama. Vor mir breitet sich eine grüne Ebene aus denen Palmen, Mandel- Oliven- und Johannisbrotbäume wie Wachtposten zwischen Wiesen und Äckern hervorstechen. Dahinter recken sich Steinmauern, erbaut in arabischen Zeiten, später erhalten und versorgt von fleißigen Mönchshänden, um in gestuften horizontalen Gärten, vom Bergwasser in Kanälen begossen, dem kargen Boden Kartoffeln, Gemüse, Zwiebeln und Getreide abzutrotzen. Eingerahmt ist dieses kolossale Amphietheater links und rechts von Bergen, bedeckt mit Steineichenwald aus denen immer wieder riesige, nackte Steinformationen hervorlugen. Oben über der von Bergkulissen eingerahmten Gartenlandschaft thront das Bergdorf Valldemossa mit seinen graubraunen uralten Steinhäusern und der Klosterkirche, deren Glockenturm mit seiner geschwungenen Haube, die mit türkisgrünen Kacheln ausgekleidet ist, als Wahrzeichen Valldemossas gilt.
Rundgang durch Valldemossa
Die Straße windet sich in Kurven nach oben und fordert den Schweiß des gerechten Radlers, entschädigt aber immer wieder durch wechselnde, aber harmonische Perspektiven von Dorf, Kloster und Kirche. Jetzt kann ich auch verstehen warum Valldemossa als das meist besuchte Dorf Spaniens gilt. Endlich ist die letzte Bergkurve genommen, ich lehne das Fahrrad an eine Steinmauer, ich bin bereit zu Fuß von Valldemossa mit offenen Armen empfangen zu werden. Der erste Besuch gebührt natürlich dem Karthäuserkloster. Nach der Lektüre der Erinnerungen Sands in „Ein Winter auf Mallorca“ hatte ich mir die Klosterzellen viel kleiner und maroder vorgestellt. Tatsächlich aber standen jedem Karthäusermönch, übrigens einer der strengsten katholischen Orden, mit der Verpflichtung zu absoluter Armut und Keuschheit, sowie partieller Schweigepflicht, drei Räume und ein angeschlossener Garten zur Verfügung. Bewohnt hat das Künstlerehepaar Zelle 4, diese und die weitere Mönchszelle 2 sind als Museum mit Mobiliar, Musikinstrumenten und Exemplaren der beiden Schrift- und Musikkünstler ausgestattet. Die Klosterapotheke mit Flaschen, Pillen, Rezepten und Klistieren gibt einen Einblick in die Heilkunst vergangener Jahrhunderte.
Die Klosterkirche, deren schlichte Anfänge bis ins 15. Jahrhundert zurückgehen, wurde 1738 umgebaut und erweitert. Der Karthäusermönch Manuel Bargens malte in dem einschiffigen Kircheninnern ein ansprechendes Deckenfresko mit Szenen aus dem Leben der Muttergottes und der Himmelfahrt Christi.
Atemberaubender Panoramablick
Nach dem Besuch des Klosters mit Kreuzgang, Druckerei und Bibliothek wandelte ich gemächlich über den steinernen Vorplatz, der mit mächtigen Platanen bestückt ist und auf der unteren Seite von Restaurants und Bars begrenzt ist, durch einen alten Rundbogen zum Palan du Rei Sanc. Diesem Palast, der auch heute noch durch seine mit Mörtel verputzten Steinquadern imponiert, verdankt das Kloster und letztendlich auch das Dorf seine Entstehung. Der mallorquinische König Jaume II hat seinem Sohn Sanc hier in den Bergen eine Burg erbauen lassen, die dem an Asthma leidenden Sohn das Atmen und Leben erleichtern sollte. Dem Sohn hat es nicht so viel genützt aber den Mönchen, die später den Palast geschenkt bekamen. Das Schönste aber am Palast ist heute, wenn man auf der Ballestrade steht und dann von oben über die Terrassengärten blickt.
Ein krumm geformter Olivenbaumstamm hier, eine mächtig wuchernde Brombeerhecke dort und dann die Krone einer Königspalme im Wind. Über den Dächern des Dorfes streckt sich die mächtige, bewaldete Flanke des Teix (1054 m), gerade in der Ferne glaubt man die Häuser Palmas erahnen zu können und rechts ganz nah der geschlossene Steineichenwald.
Soviel Schönheit macht hungrig und vor allem wenn man immer die Füße bewegt hat. Eine Pizza beruhigt den Magen und ein Bier besänftigt das Gemüt. Ich bummle durch die Dorfstraße, die jetzt von Touristen wimmelt. Sprachen müsste man können, dann könnte man Russisch, Französisch oder Holländisch mitreden. Dankbar nehme ich das Angebot einer Tienda an, wo man sich aus kleinen Fässchen mallorquinische Liköre und Schnäpse zum probieren herunterzapfen kann.
Inselheilige Catalina Thomas
So gestärkt marschiere ich durch geschwungene Steingässchen an weißen gekalkten aber meist grau gemauerten Steinhäusern mit geschlossenen grünen Fensterläden in die Unterstadt. Jetzt fällt mir auf, dass an jedem Haus eine Kachel oder eine ganze Serie von Keramiken an den Häuserfronten prangen, die ein junges Mädchen in mallorquinischer Tracht oder Szenen aus deren Leben zeigen. Diese Darstellungen bilden alle die Inselheilige Catalina Thomas (1531 – 1574) ab, die als junge Frau in das Kloster Santa Magdalena in Palma eintrat, dort himmlische Visionen hatte und Wunder vollbrachte, die schließlich 1930 zu ihrer Heiligsprechung führten.
Nun stehe ich vor dem Geburtshaus, früher ein schlichtes Bauernhaus, heute eine Kapelle und Pilgerort vieler frommer mallorquinischer Pilger. Ich will nun zur nahegelegenen Pfarrkirchen Sant Bartolomen und zur dort gelegenen Urkunde der Seligsprechung (1792) Catalinas gehen, in der stillen Hoffnung, dass für einen armen Sünder wie mir, ein Gnadenpartikel abspringt. Die Kirchenpforte ist allerdings wie bei fast allen Kirchen auf Mallorca, außer man kann Eintritt kassieren, versperrt. Also muss es auch ohne Gnadenspende gehen, aber vielleicht hat die Inselheilige doch irgendwie geholfen, denn trotz des starken Rückreiseverkehrs und der vielen Kurven kam ich heil und ganz mit meinem Fahrrad wieder in Palma an.