Schon vor fast einem Jahr war die Insel im Medien-Fokus, als die Saison wieder anfing. Jetzt liegt wieder einmal alle Hoffnung auf den Deutschen.
Stefanie Claudia Müller
Tom Mardorf reist ab. Auch wenn die Insel immer noch leer wirkt im Vergleich zum Rekordsommer 2019, glaubt er, dass er dringend einen Tapetenwechsel braucht: „Ich muss mich ausruhen.“ Der 58jährige hat in den vergangenen Monaten eine Lebensmittelbank aufgebaut zusammen mit der evangelischen Kirche in Santa Ponsa. Täglich haben sie an Dutzende Familien Konserven, Gemüse, Obst und Hygiene-Artikel ausgegeben.
„Viele von den Empfängern haben noch nie in ihrem Leben wegen Essen um Hilfe gebeten. Mich hat diese plötzliche Armut vieler lieber Menschen betroffen, als ich vergangenen September nach langer Abwesenheit wieder einmal auf die Insel kam“,
erzählt der deutsche Unternehmer, der normalerweise in Miami wohnt, aber auf Mallorca aber Immobilien besitzt.
Während sich in der spanischen Hauptstadt gerade alle auf die Füβe treten, ist das Leben auf der Insel noch sehr beschränkt. Am späten Nachmittag schlieβen die Bars und Restaurants auch für die Touristen. Saufgelage und Strandparties gibt es deswegen nicht. Auch den die deutschen Medien auf diese Bilder regelrecht warten. Die spanischen Kontrollen sind streng, weil das Image Mallorcas als sicheres Reiseziel um jeden Preis gewahrt werden soll und die Regierung sich nicht ein neues Ischgl leisten kann. Wie es nun mit den deutschen Touristen auf Mallorca weitergehen wird, das wird Mardorf alles aus der Ferne beobachten: „Ich muss mich jetzt erstmal um mich selbst kümmern“.
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Solidarität der ausländischen Residenten hilft Mallorca aus der Krise
Laut einer Studie der Universität der Balearen hat sich die Zahl der Menschen in extremer Armut binnen eines Jahres auf 34 000 Personen verdoppelt. 40 Prozent der Bars und Restaurants auf Mallorca aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht wieder öffnen, teilte der Unternehmerverband Pimem mit. Mardorf ist nicht der einzige deutsche Mallorca-Liebhaber, der das enorme Elend schon im Herbst kommen sah und mit anpackte statt wegzuschauen. Mitarbeiter von Porta Mallorquina haben sich ebenfalls mit zahlreichen Aktionen engagiert, um zurückzugeben, was die Insel und ihre Einwohner ihnen gegeben haben in den vergangenen Jahren. Das Immobilien-Unternehmen unterstützt zudem seit Jahren den Lions Club auf der Insel, der Menschen in Not versorgt.
Wie alle Makler sehnt Porta Mallorquina jedoch die Wende in der Pandemie herbei, auch wenn der Verkauf von Ferienimmobilien zur Verwunderung vieler einer der wenigen Branchen ist, die weitgehend normal weiterlaufen.
„Auch deswegen müssen die anpacken, die Kraft haben. Es ist für mich ein sehr traurige, aber auch schöne Erfahrung zu sehen, wie die Deutschen sich hier engagieren“,
berichtet Nicky Neumann, die als Maklerin für Porta Mallorquina arbeitet. Die 47jährige hat wochenlang wie Mardorf Lebensmittel und Haushaltswaren für Bedürftige eingekauft:
„Alles mit dem Geld von privaten Spendern, darunter auch einige meiner Kunden“.
Und nicht nur das, sie hat auch Gemüse auf den Feldern der mallorquinischen Bauern geerntet, die ebenfalls von der Pandemie betroffen sind:
„Es verkommt ja sonst alles, weil sie ihre Produkte normalerweise vor allem an die Restaurants und Hotels verkaufen“.
Neumann hat das Obst und Gemüse zu den Sammelstellen in Pollensa gebracht, wo sich Bedürftige für Essen anstellen.
Deutsche Medien schüren Missverständnisse über Urlaub in Mallorca
Weniger glorreich haben sich in der Pandemie dagegen die Medien in Spanien und Deutschland verhalten, die teilweise mehr verwirren als aufklären und immer wieder falsche Ängste schüren. Die Mallorquiner verstehen nicht, dass die eigenen Landsleute nicht kommen können wegen der Restriktionen, Ausländer aber doch. Das hat auch damit zu tun, dass ihnen niemand erklärt hat, dass jeder der kommt einen PCR-Test machen muss und es auch darum ging Reiseveranstalter und Fluglinien wieder für Spanien zu interessieren. In Deutschland wiederum gibt es inzwischen einen von den Medien geschürten Neid gegenüber Mallorca, wo die Hotels und Restaurants wenigstens ein wenig Geschäftseinnahmen haben, während im eigenen Land alles zu ist. Kamerateams, auch vom deutschen öffentlichen Fernsehen, kommen schon mit vorgefertigter Meinung auf die Insel und nerven eher als dass sie konstruktiv zur Krise beitragen.
Neben den Restaurant-Besitzern und Hoteliers, sind auch die vielen Schwarzarbeiter auf der Insel betroffen von der Pandemie bedingten Tourismus-Flaute, viele davon sind afrikanische Migranten. Die Caritas und die Kirchen auf der Insel kümmern sich gerade um diese Menschen, viele kommen aus dem Senegal. Die Solidarität ist auch hier enorm, aber ihre Geschichte interessiert die Medien weniger als der deutsche Tourist, der von der Not wenig mitkriegt. Die Urlauber erfahren dafür eine Stille, die einige als traurig empfinden, andere dagegen als sehr erholsam.
Ballermann und Magaluf werden sich verändern
Angesichts dieses Szenarios scheint der Rekordsommer 2019 vielen bereits wie ein schlechter Traum.
„Wir werden hier ein Problem mit Masse haben in der Zukunft, egal ob am Strand, in Diskos oder Hotels“,
agt Mardorf voraus. Während die deutschen Journalisten die Urlauber regelrecht jagen, um ein Statement vor laufender Kamera zu bekommen, gibt es im Hintergrund viele, die langfristige Lösungen für die Insel suchen. Dazu gehört auch Javier Pasquet, Tourismus-Beauftragter von Calvià:
„Das alte Massentourismus-Modell funktioniert nicht mehr. Wir müssen nachhaltiger denken“.
Für ihn war es unvorstellbar, dass das eigentlich so reiche Mallorca, wo es seit Jahren boomt, nun unter Armut leidet. Die staatlichen Hilfen reichten zwar nicht aus und die vergangene Saison war sehr kurz, aber die Regierung in Madrid und auf den Balearen mache alles, was sie könne.
„Dennoch sehe ich bisher noch keine Pleitewelle bei den Hotels“,
sagt der Tourismus-Experte.
Investoren aus aller Welt versuchen dennoch, sich spanische Hotels billig unter den Nagel zu reißen. Zudem werden schon wieder neue Häuser überall in Spanien gebaut und eröffnet. „Aber klar ist, dass das Land wie schon lange geplant, immer mehr auf wohlhabende Touristen schauen wird, welche die Umwelt nicht so stark belasten und von konjunkturellen Krisen nicht so getroffen werden“, glaubt Pasquet.
Ron Büttner, Inhaber der Fußballkneipe 4711, rechnet in einem Interview in der Touristik-Lounge damit, dass sich der Ballermann-Tourismus enorm verändern wird, worüber sich viele auf Mallorca freuen werden:
„Die Stimmung an der Playa wird dieses Jahr anders sein. Das wird wie ein Rummel ohne Riesenrad und Achterbahn. Es heißt, der Megapark wird wegen fehlender Lizenzen wohl gar nicht öffnen. Der Bierkönig vielleicht in abgespeckter Version.“
Er selbst will durchhalten: „Ich bin Vollblutkneipier. Das ist mein Leben. Ich wüsste sonst nicht, was ich machen soll.“
Spaniens Anstrengungen sind bewundernswert
Vor einem Jahr stand Spanien in den Schlagzeilen wegen der vielen Toten und Infektionen, wegen überlasteter Krankenhäuser und chaotischem Materialbestand. Aber die Politiker haben schnell gelernt, beim Impfen ist das Land in Europa vorne und die Infektionszahlen sind stabil, die Restriktionen wurden überall gelockert. Noch ist es ein Balance-Akt, was die Balearen-Regierung mit dem Saisonauftakt wagt, aber sollte es gelingen, dann wird die ganze Welt voll Stolz auf Spanien schauen und versuchen das Erfolgsmodell mit Testen, Covid19-Hotels, Maskenpflicht und Hygiene-Protokollen zu kopieren. Die Solidarität zwischen den ausländischen Residenten und den Inselbewohnern, die sich immer wieder über den deutschen und britischen Sauftourismus beschwert haben, wird ebenfalls die Runde machen.
Neumann hat übrigens in keinem Moment daran gedacht, das sinkende Schiff zu verlassen:
„Ich liebe Mallorca“.
Aber wie Mardorf zieht sie sich jetzt erstmal aus den Hilfsaktionen zurück: „Ich muss jetzt selbst wieder Geld verdienen, damit ich meine Rechnungen bezahlen kann“.